Wildunfälle

Die Pfalz-Echo-Mittagspausen-Kolumne

„Wie verhält man sich eigentlich richtig, wenn man ein Tier im Wald angefahren hat?“, fragt Günther in die Runde. 

„Oh je! Was ist denn passiert? Geht‘s dir gut? Wie geht‘s dem Wildschwein? Hat das Auto was abbekommen?“, fragt Elli aufgeregt nach.

„Nein! Keine Sorge, es geht nicht um mich. Ein entfernter Bekannter ist vor kurzem auf dem Weg zur Arbeit einem Reh begegnet. Und hat …“, Günther zögert ein wenig, „… nun, er hat etwas unkonventionell gehandelt, nach dem Zusammenstoß. Jetzt horchen auch die anderen auf: „Unkonventionell? Hat er nicht die Polizei gerufen?“ „Nein. Hat er nicht. … Ich frag mich jetzt halt, ob man das überhaupt tun muss?“, lenkt Günther ab.

Die Meinungen der Kollegen gehen auseinander. Elli und Herr Schmidt meinen, man müsse auf jeden Fall die Polizei verständigen. Elli würde sogar noch einen Jäger, einen Förster, die Feuerwehr und die Tierschutzbehörde mit ins Boot holen. Paula würde es davon abhängig machen, wie heftig der Zusammenstoß war und wie groß das Tier ist, kommt allerdings ins Zweifeln, als es darum geht, ob man verletzte Tiere nicht auf jeden Fall irgendwo melden sollte. Also holt sie ihr Smartphone aus der Tasche und klärt auf: „Man soll auf jeden Fall die Polizei rufen! Diese gibt dann auch einem zuständigen Jäger Bescheid. Und wenn Menschen verletzt sind, sollte man natürlich außerdem die 112 wählen.“

„Und was mache ich, wenn das Tier schwer verletzt mitten auf der Straße liegt und unter qualvollen Schmerzen leidet?“, hakt Günther nach. „Na, auf den Jäger warten. Was denn sonst?“, entgegnet Paula, „hier steht auf jeden Fall, dass man ein verletztes Tier unter keinen Umständen anfassen oder selbst in Sicherheit bringen soll. Die Tiere könnten extrem aggressiv reagieren!“

„Ah … verstehe … so ist das also …“, Günther grübelt. 

„Komm, jetzt rück‘s endlich raus! Was genau hat dein Bekannter denn  getan?“, fragt Herr Schmidt nun ungeduldig.

„Also gut“, Günther atmet tief ein, „er ist wohl mit einem Reh zusammengestoßen, das dann schwer verletzt auf der Straße lag. Ihm selbst und dem Auto ist nichts passiert. Als er ins Büro kam, hatte er blutverschmierte Hände und auf Nachfrage seiner Kollegen meinte er nur: ‚Ich habe das Tier erlöst.‘ … Er hat es getötet! Mit seinen Händen! Könnt ihr das fassen?“

Es wird sehr still in der Küche. Alle starren sich fassungslos an, bis Günther das Schweigen wieder durchbricht: „Egal. Was ich eigentlich verkünden wollte: Ich kümmere mich morgen ums Mittagessen! Mögt ihr alle Rehgulasch? Ich bin günstig an ein paar Kilo Fleisch gekommen.“