Frank Mill hat seine Profi-Fußball-Karriere Ende der 70er Jahre bei Rot-Weiß Essen gestartet. Danach spielte er in den 80ern bei Mönchengladbach und Dortmund und die letzten beiden Jahre seiner aktiven Zeit bis 1996 bei Fortuna Düsseldorf. Auch für die Nationalmannschaft absolvierte er einige Spiele und war auch für die WM 1990 im Kader nominiert, wo er allerdings nie zum Einsatz kam. Heute engagiert sich der Essener im Bereich Nachwuchsförderung mit einem eigenen Unternehmen namens Kidsactive.

Sie leiten zahlreiche Fußballschulen in ganz Deutschland. Welche aktuellen Projekte haben Sie in diesem Bereich?

Frank Mill: Wir organisieren jetzt auch Fußballunterricht für Inklusions-Kinder, demnächst auch mit erwachsenen Behinderten. Davor habe ich ein wenig Respekt, aber ich freue mich auch drauf. Mit den Kindern sind diese Veranstaltungen oft sehr lustig, das macht echt Spaß.

Aber die ganz klassischen Fußballschulen finden weiter statt?

Frank Mill: Ja, klar.

Hat sich durch die Leistungszentren, die die Vereine mit dem DFB aufgebaut haben, etwas in diesem Bereich geändert?

Frank Mill: Für uns ist es insgesamt weniger geworden. Ich organisiere nur noch die ganz großen Fußball-Camps. Im Sauerland, in der Nähe von Köln, Solingen, Schwarzwald, Chiemsee.

Waren Sie auch schon in der Pfalz?

Frank Mill: Ich war im letzten Jahr an der Mosel, das war schön. Und in Ludwigshafen bin ich demnächst! Dort arbeiten wir mit der BASF zusammen. Das hat Maurizio Gaudino vermittelt.

Die BASF war früher in unserer Region sehr engagiert bei Jugend-Fußballmannschaften.

Frank Mill: Klar, da arbeiten ja über 30.000 Menschen. Als ich vor einigen Wochen zum Vorgespräch dort hingekommen bin, war ich erst mal überrascht. Das ist ja wie eine große Stadt.

Sie stammen ja aus Essen – ist Rot-Weiß-Essen immer noch ihr Stammverein?

Frank Mill: Ja, das kann man schon so sagen. Leider ist da seit 30 Jahren nichts mehr passiert – außer, dass sie vor ein paar Jahren ein neues Stadion bekommen haben. Danach sollte alles anders werden, aber in dem Verein ist keine Struktur. Ich weiß aus meiner Zeit, dass die Fans dort leicht zu mobilisieren sind, sobald kleine Erfolge da sind. Damals in der Zweiten Liga, bei einem Nachholspiel gegen Westfalia Herne mittwochs, kamen 28.000 Zuschauer ins Stadion! Sonntags dann gegen Rot-Weiß Lüdenscheid war das Stadion ausverkauft: 34.000 Zuschauer. Selbst als Essen in der Dritten Liga gespielt hat, waren die Spiele oft ausverkauft. Heute ist das leider nicht mehr so. Aber es ist mein Verein! Genau wie Dortmund.

Sie haben auch mal für Düsseldorf gespielt!

Frank Mill: Ja, aber da hängt mein Herz nicht dran. In Düsseldorf kann man gut einkaufen gehen. Das war es. Ich habe damals schon gesagt: Das Beste an Düsseldorf ist die Autobahn nach Essen. (lacht) Das hat man mir auch krumm genommen. Ich habe dort mit 38 aufgehört, danach wurde ich Sportbeauftragter. Das habe ich zwei Jahre gemacht, in der Zeit habe ich Klaus Allofs verpflichtet und der hat mich dann abgesägt, innerhalb von einer Woche.

Sie hatten damals aber sowieso nicht den Drang, im Zirkus des Profi-Fußballs zu bleiben?

Frank Mill: Ich war natürlich zunächst mal ziemlich frustriert, dass so etwas passieren kann – mich einfach zu entlassen. Was habe ich denn verkehrt gemacht? Als ich angefangen habe, bekam ich ein Budget von 1.100.000 DM und sollte davon zehn Spieler kaufen – das habe ich auch geschafft! Mit Klaus Aloffs sind sie von der Zweiten Liga in die Dritte abgestiegen, dann in die Vierte … da war er dann auch schnell weg.

Was im Fußball inzwischen alles für Summen gezahlt werden, ist ja auch unglaublich, oder? Wie beobachten Sie das?

Frank Mill: Über die explodierenden Gehälter brauchen wir gar nicht zu sprechen, das ist halt so. Ich bin der Meinung, die Großen sollen ruhig so viel verdienen, wie es geht, denn die bringen ja auch die Leute ins Stadion. Aber wenn die Mitläufer auch so viel verdienen, finde ich das nicht mehr in Ordnung. Huub Stevens hat zum Beispiel für Schalke einige Holländer geholt, die dann auf einmal auch ein paar Millionen Euro verdient haben.

Hatten Sie zu Ihrer aktiven Zeit einen Spielerberater?

Frank Mill: Ja, ich hatte einen – drei Tage lang! Als ich von Rot-Weiß Essen zu Gladbach gewechselt habe, gab es einen Herrn Holger Klemme. Der hatte damals einen großen Namen. Ich hatte mich für den Wechsel damals ein paar Mal mit ihm getroffen. Wir saßen dann zusammen im Auto, und kurz bevor wir in Essen waren, legte er mir einen Vertrag vor, in dem stand, dass er 30 Prozent von meinem Gehalt pro Jahr bekommen sollte. Das Gehalt lag damals ungefähr bei 400.000 DM. Beim Durchlesen habe ich mir das dann genauer überlegt: drei Jahre, jeweils 30 Prozent, … 360.000 DM! Nur weil er beim Vertragsabschluss dabei war. Ich habe ihm den Vertrag also auf den Schoß gelegt, und bin an der Ampel ausgestiegen: „So einen Scheiß mach ich nicht!“ Daraufhin wollte er mich verklagen. Aber ich hatte ja noch nichts unterschrieben. Als ich ihn Jahre später mal irgendwo getroffen habe, ist er schnell im VIP-Bereich verschwunden.

Inzwischen haben aber alle Spieler – bis in die Dritte oder Vierte Liga – Spielerberater.

Frank Mill: Die meisten haben sogar zwei! Außerdem noch einen Pädagogen, einen Psychologen … Dabei könnte das jeder selbst machen! Jeder, der ein bisschen was auf dem Kasten hat. Oder man engagiert einen guten Berater, legt mit dem aber genaue Regeln fest: Du bekommst einmalig fünf Prozent. Nicht wie üblich, zwölf. Wenn heute ein Berater drei Wechsel im Jahr vermittelt, hat er ausgesorgt. … Aber da hat sich generell viel verändert. Ich habe in 21 Jahren bei vier Vereinen gespielt. Heute macht das keiner mehr. Je öfter du wechselst, desto besser. Verträge sind nichts mehr wert! Aubameyang hat seinen Vertrag im Oktober bei Dortmund verlängert, im Januar war er weg.

Und was drumrum dann noch veranstaltet wird bei solchen Wechseln!

Frank Mill: Eben! Die Engländer schmeißen dich tot mit Kohle. Oder Paris: Die kaufen zwei Spieler – für 400 Millionen Euro! Das muss man sich mal vorstellen!

Sie wären heute ja vermutlich auch 50 Millionen wert!

Frank Mill: Mindestens. (lacht)

Ist man darauf neidisch?

Frank Mill: Neid ist mir schon immer fremd. Was soll denn dann ein Gerd Müller sagen! Der würde heute ja jeden Tag eine Million verdienen – überspitzt gesagt. Klar, auch ich hätte in der heutigen Zeit einiges mehr, aber so ist es nunmal.

Haben Sie die Zeit als aktiver Spieler eigentlich körperlich unversehrt überstanden?

Frank Mill: Bis auf meine Nase ist alles ganz, ja! Ich hatte zwar viele Verletzungen, aber das waren alles Sachen, die man schnell beheben konnte. Bis auf meinen Kreuzbandriss vielleicht, aber selbst danach habe ich noch gefühlt 2.000 weitere Spiele gemacht.

Erinnern Sie sich noch, wie es damals war, als Sie 1990 für die Nationalmannschaft nominiert wurden, um mit zur WM in Italien zu fahren?

Frank Mill: Ich weiß gar nicht mehr genau, wie es damals war. Irgendjemand hat mich wohl angerufen. Vielleicht auch aus Mitleid, weil ich 1986 nicht dabei war.

Aber Sie waren doch ein guter Stürmer!

Frank Mill: Klar. Aber ich mache mir da keine Illusionen. Ich bin da ganz objektiv. Ich war 1990 dabei, aber kam leider nicht zum Einsatz. Natürlich hätte ich da auch gerne mal gespielt. Ärgerlich ist es besonders, wenn man sich warm läuft und trotzdem nicht auf den Platz darf. Damals habe ich mir geschworen, dass ich das nie wieder mache. Ich habe mal mit einer Legenden-Auswahl in Essen gegen Portugal gespielt. Ich habe damals zu meinem Freund Otto Rehagel gesagt: „Trainer, ich bin noch nicht ganz fit, bring mich in den letzten 15 Minuten.“ Also habe ich mich kurz vor Schluss warm gelaufen, habe dabei das Spiel beobachtet: 1:1, fünf Minuten vor Schluss – 2:1. Drei Minuten vor Schluss – 3:1. In der 88. Minute steht Rehagel auf und winkt mir zu – und ich hab ihm den Vogel gezeigt. Ich bin an ihm vorbeigegangen und hab geduscht. Nach dem Spiel kam er auf mich zu und ich habe ihm erklärt: „Trainer, ich komme aus dieser Stadt! Ich wollte 15 Minuten spielen! Aber doch nicht 3 Minuten beim Stand von 3:1. Für solche Almosen bin ich nicht zu haben.“ Aber Rehagel wollte damals einfach unbedingt gewinnen.

Wie hat Otto Rehagel denn reagiert?

Frank Mill: Zwei Wochen später habe ich ihn zufällig getroffen, als ich meine Mutter im Krankenhaus besucht habe. Da kam er mir entgegen: „Frank, kommen Sie mal her! Wissen Sie was, das war echt scheiße von mir.“ Dann war es auch wieder gut. Man kann sich ja wegen so einem Käse nicht jahrelang mit einem verkrachen!

Jetzt steht die WM in Russland bevor. Werden da dann Erinnerungen an die eigenen Erlebnisse wach?

Frank Mill: Ja. Das war eine schöne Zeit. Wir sind 1990 deswegen Weltmeister geworden, weil es einfach eine gute Truppe war! Wir hatten Spaß. Und wir hatten Franz als Trainer!
Haben Sie heute noch Kontakt zu Spielern von damals?
Frank Mill: Ja, mit Thomas Häßler und Pierre Littbarski habe ich noch Kontakt. Auch mit Thomas Berthold. Mit dem war ich vor einiger Zeit in Mexiko. Dort hat er ein Spiel organisiert – 30 Jahre danach – das war klasse gemacht. Da waren 30.000 Zuschauer.

Fühlen Sie sich überhaupt als Weltmeister?

Frank Mill: Nein, da habe ich meine Meinung nicht geändert. Man fühlt sich ein bisschen verbunden, weil man ja schon dabei war.

Was ist Ihr Tipp für die WM?

Frank Mill: Es gibt zwei Mannschaften, die uns gefährlich werden können: Brasilien und Frankreich. Spanien kann ich mir irgendwie nicht vorstellen – auch wenn die natürlich nicht schlecht sind.

Ihre Art, Fußball zu spielen, war immer sehr schön anzusehen, sehr quirlig …

Frank Mill: In mir gibt es zwei Persönlichkeiten: Wenn ich Fußball spiele, bin ich nicht nett. Ich beleidige die Schiedsrichter, schimpfe mit anderen Spielern. Auf dem Platz war ich ein echtes Miststück. Aber ich hab’ mich trotzdem immer fair verhalten, wenn es drauf ankam. Ich habe ein Mal den Schiedsrichter auch drauf hingewiesen, dass mein Gegenspieler, Bernd Förster, dem er Rot geben wollte, mich gar nicht berührt hatte. Dafür war er mir fünf Jahre später noch dankbar. Denn eigentlich hatte er mich getroffen – aber das Spiel war vorbei, wir haben 3:0 geführt, darauf wäre es nicht mehr angekommen. (eis)