Beim Sender SPORT1 ist Peter Neururer regelmäßig als Experte zu Gast. (Foto: Foto: SPRT1/Rupp)

Steckbrief

Peter Neururer

Geboren: am 26. April 1955 in Marl

1989-1990: Trainer beim FC Schalke 04

2001-2005: Trainer beim VfL Bochum

weitere Stationen als Trainer: seit1984 war er u.a. Trainer bei Rot-Weiß Essen, Hertha BSC, Fortuna Düsseldorf, und dem MSV Duisburg.

seit 2013: Stammgast in der Fußball-Talkshow „Fantalk“ von Sport1 und Experte bei der Sport1-Talkshow Doppelpass. Zudem kommt Neururer auch bei von Sport1 übertragenen Fußballspielen am Spielfeldrand als Experte zum Einsatz.


Peter Neururer 2011 (Foto: xtranews.de / Flickr: IMG_0700.jpg, CC BY 2.0)

Sie sind jetzt über 30 Jahre Trainer und haben in dieser Zeit drei Spielergenerationen miterlebt.

Peter Neururer: Trainer bleibt man ja sein Leben lang, auch wenn ich momentan nicht die Funktion des Trainers ausübe, sondern die des Sportdirektors. Als ich als Trainer angefangen habe, war ich knapp über 30 und damals der jüngste Trainer in Deutschland. Zuerst wurde ich von Horst Hrubesch als Co-Trainer zu Rot-Weiss-Essen geholt. Da habe ich die U23, wie man sie heute nennt, trainiert. Damals hieß sie noch Amateurmannschaft. Gleichzeitig habe ich die U19, die damalige A-Jugend, trainiert und den Co-Trainer, den Reha-Trainer und das Scouting gemacht. Das konnte man damals kurioserweise alles gleichzeitig machen. Heute braucht man für jede Funktion eine andere Person. Ja, ich habe drei Spielergenerationen miterlebt und es hat sich auf dem Spielermarkt, wie man das heute leider nennen muss, einiges geändert. Die Entwicklung ist nicht immer zum Vorteil gewesen, aber auch nicht immer zum Nachteil. Der Transfermarkt zum Beispiel ist einer der größten Nachteile im Geschäft, wenn auch ein arbeitsrechtlicher Vorteil. Mit dem Bosman-Urteil ist der Fußball in der Form, wie wir ihn kannten, komplett gestorben. Früher haben wir Verträge verlängert, um Verträge zu verlängern. Heute werden Verträge verlängert, damit man den Spieler überteuert verkaufen kann. Es gibt rein wirtschaftlich nichts Schlimmeres, als einen Spieler, in den investiert wurde und dessen Vertrag ausläuft, ablösefrei zu einem anderen Verein geben zu müssen. Das ist im Prinzip eine Ausgabe, keine Investition. Wenn früher ein Spieler X den Verein verlassen wollte, aber noch einen Vertrag hatte, habe ich als Trainer zu ihm gesagt, er solle gut spielen, damit sich sein Marktwert erhöht. Wenn aber heute Spieler wie Aubameyang, Dembele, Neymar und andere den Verein wechseln wollen, kommen sie entweder nicht zum Training oder zu spät oder setzen sich auf die Tribüne, um dann ablösefrei gehen zu können. Damit geht der Markt kaputt.

Aber da ist heute auch der Spieler an sich anders; er hat auch eine ganz andere Macht.

Peter Neururer: Der heutige Spieler ist insofern anders, als er sich nicht mit dem jeweiligen Verein persönlich identifiziert. Das gilt im Profibereich, im Amateurbereich ist das noch etwas anders.Ein Beispiel ist Benedikt Höwedes bei Schalke 04, ein Spieler, der aus der Gegend kommt und auch der Kapitän ist. Er gilt als der absolute King; mit ihm identifizieren sich die Fans. Kinder sparen ihr Geld, um sich sein Trikot für 160 Euro zu kaufen. Zwei Wochen später aber wechselt der Spieler den Verein, weil woanders mehr bezahlt wird oder aus anderen Gründen. Aber woher soll der Junge, der sich das Trikot gekauft hat, das Geld für das nächste Trikot bekommen? Spieler, Trainer, mittlerweile auch Vorstände, gehen von heute auf morgen, aber die Fans bleiben. So machen wir den Fußball, wie wir ihn einmal kennen gelernt haben, im Profibereich kaputt. Es ist Wahnsinn, was da läuft! Wir entfernen uns immer weiter von den Basen, die uns ernähren! Bayern München ist der einzige Verein der Bundesliga, der imstande ist, die eigenen Spieler im Verein zu halten. Alle anderen Vereine der Bundesliga sind Ausbildungsvereine.

Bei Traditionsvereinen ist ja der Anspruch der Fans sehr hoch

Peter Neururer: Sie haben den Anspruch, wieder da hinzukommen, wo sie einmal waren, also wieder in der ersten Liga zu spielen. Aber da gibt es einen ganz wunden Punkt bei fast allen Traditionsvereinen, die jetzt abgestürzt sind. Sie haben die Verträge auf einem teuren Markt, können sie aber nicht bedienen. Ich erlebe es gerade bei einem kleinen Verein in Wattenscheid. Der Verein ist komplett abhängig von einem Investor, der ist jetzt Aufsichtsratsvorsitzender und hat alles durchdacht, sicherlich auch mit großem Geschäftssinn. Aber er hat mit dem Verein selber gar nichts zu tun. Sponsoren haben eine Menge Geld, vielleicht auch das richtige Know-how, aber irgendwann haben sie vielleicht keine Lust mehr. Dann hat der Verein die Verträge, aber den Geldgeber nicht mehr. Dass einige Stadien aber nur in der ersten Liga, und zwar im Topbereich, in dem zum Beispiel auch Kaiserslautern war, finanzierbar sind, haben die Leute leider vergessen. Ich habe das in Saarbrücken erlebt, zwar etwas kleiner, aber sehr intensiv. Den Investor mit dem Geld interessiert das nicht, aber die Fans, die auf einmal Fußball in der dritten oder vierten, teilweise auch in der fünften Liga sehen müssen, schon.

In Wattenscheid sind Sie jetzt Sportdirektor. Können Sie dort auf den Sponsor Einfluss nehmen?

Peter Neururer: Eben nicht. Der Sponsor gibt mir einen Rahmen vor, in dem ich mich bewegen kann. Allerdings träumt man dort davon, damit in die Bundesliga zu kommen. Aber das geht so nicht. Da müssten erst mal Grundprinzipien der Sportart herrschen. Wie willst du zum Beispiel ohne Logen im Stadion in der zweiten Liga bestehen? Der Spruch „Geld schießt keine Tore“ ist totaler Blödsinn. Je mehr Geld ich habe, umso mehr Möglichkeiten habe ich auch, um vernünftige Spieler zu kaufen.

Als Sie Fußballtrainer geworden sind, wollten Sie das Spiel vorantreiben. Sie haben das Spiel geliebt. Wenn Sie heute, 30 Jahre später, eine Mannschaft trainieren, was hat sich geändert?

Peter Neururer: Du hast wesentlich mehr Möglichkeiten. Wenn ich in der Bochumer Zeit noch 2004/2005 zum Präsidenten gegangen wäre und gesagt hätte, ich bräuchte einen Torwarttrainer, der hätte mich entlassen, der hätte mich allenfalls ausgelacht. Wenn man heute als Cheftrainer arbeitet, organisiert man den Trainerstab.

Aber auch die Inhalte haben sich geändert, oder?

Peter Neururer: Am Anfang meiner Karriere hatte ich zwei, maximal drei Ausländer im Kader, alle anderen kamen aus der Gegend oder waren aus der entsprechenden Liga dazu gekauft worden. Ich kam damals nach Schalke in der schlimmsten Phase der Vereinsgeschichte. Die standen mit einem Bein in der dritten Liga. Da habe ich den Spielern vor dem Spiel gesagt, sie sollen auf ihre Trikots sehen und sich bewusst sein, was S04 bedeutet, denn draußen warten 70 Tausend Fans! Wenn wir absteigen, wäre für die ein Leben zu Ende. Von den 16 Spielern, die wir damals im Kader hatten, haben mindestens 15 Vollgas gegeben. Ich kann jetzt glücklicherweise mehrere Sprachen und habe es immer so gehalten, dass ich am Saisonanfang mit den Spielern mehrere Sprachen spreche. Die Spieler bekommen aber auch von Anfang an Deutschlehrer an die Seite gestellt und was im Fußballspiel gesagt werden muss, kann man lernen, wenn man das will. Mit Beginn der Pflichtspiele spreche ich dann nur noch Deutsch. Wenn ich Spieler einer anderen Nationalität sehe, die eine andere Sprache sprechen als Deutsch, gibt es eine Geldstrafe. Aber bei einer gut funktionierenden Mannschaft, in der sich alle integrieren wollen, regelt sich das von alleine. Diese Geldstrafe musste ich nicht ein einziges Mal aussprechen.

Sie haben den Ruf „Feuerwehrmann“ zu sein. Ist das für Sie ein Kompliment oder ein Fluch?

Peter Neururer: Wenn Sie erfolgreich sind, ist das ein Segen und wenn Sie nicht erfolgreich sind, ein Fluch.

Markus Eisel hat Peter Neururer zum Interview getroffen. (Foto: mg)

Aber der Fluch besteht auch darin, Sie könnten keine Mannschaft aufbauen, sondern nur retten.

Peter Neururer: Ich habe des Öfteren gezeigt, dass das sehr wohl geht. Aber das ist eine Sache der Darstellung. Als ich zum Beispiel Schalke übernommen habe auf dem Abstiegsplatz, dann im ersten Jahr die Liga halte, im zweiten Jahr mit einer schlechteren Mannschaft fünfter werde und im dritten Jahr als Tabellenführer rausfliege, dann ist das kein Feuerwehrjob. Eine bessere Aufbauarbeit gibt es nicht. Die Fähigkeiten eines Trainers kann eigentlich sowieso kein Journalist wirklich beurteilen. Denn wer ist denn schon beim Training oder in der Kabine dabei? Wenn man gar nicht weiß, was der Trainer mit welcher Zielsetzung trainiert, kann man nicht beurteilen, ob es richtig oder falsch ist. Außerdem wird man immer nur nach dem Tabellenplatz beurteilt, aber es kommt auch auf den Verein und die Mannschaft an. Wenn man zum Beispiel in der gegenwärtigen Phase in Kaiserslautern Trainer ist, kann man kein Meister werden.

Leider wurde in Kaiserslautern die eigene Mannschaft nach dem Spiel gegen Unterhaching ausgepfiffen. Da scheint es bei den Fans ein hohes Anspruchsdenken zu geben.

Peter Neururer: Das ist ein Punkt, den ich als Sportler nicht nachvollziehen kann. Wie kann ich Fan von einer Mannschaft sein, ihr eigentlich meinen Support geben wollen und dann aber dieselben Spieler auspfeifen? Erst wenn die Symbiose zwischen Mannschaft und Publikum besteht, kann es gelingen, dass man gemeinsam durch eine schlechte Zeit geht. Ich weiß noch, als wir früher in Kaiserslautern gespielt haben, ist kein Kaiserslauterer Spieler ausgepfiffen worden. Im alten Stadion hast du als gegnerischer Trainer einen Regenschirm auf die Birne gekriegt. Das war sensationell, das war Fußball pur!

Da war noch das alte Stadion!

Peter Neururer: Ja, das neue Stadion ist einfach zu groß und die Atmosphäre ist nicht mehr da.

Sie sind ja jetzt auch als SPORT1-Experte tätig. Besteht da die Gefahr, dass Sie weniger als Trainer wahrgenommen werden?

Peter Neururer: Ich bin schon seit den Zeiten des Deutschen Sportfernsehens regelmäßig dabei. Für die Phase, in der ich nicht als Trainer gearbeitet hatte, war es für mich ganz angenehm, da ich weiterhin im Job geblieben bin, denn in der ersten und zweiten Bundesliga darfst du nie deine Präsenz verlieren. Es ist vielleicht ein Problem, dass ich sehr authentisch bin, aber ich versuche immer, objektiv zu sein.

Würden Sie bei einem entsprechenden Angebot auch wieder als Trainer arbeiten?

Peter Neururer: Mit meinen 64 Jahren trainiere ich mit Sicherheit keine regionale Mannschaft mehr. Aber einen Traditionsverein nach vorne bringen, sofort! Allerdings nicht, solange dort ein Trainer im Amt ist.