Der Schauspieler Jürgen Heinrich ist aus der deutschen Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Zahlreiche Film- und Serienrollen hat der 72-Jährige schon gespielt. Die Hauptrolle in der Serie „Wolffs Revier“ (1992 bis 2006, Sat 1) bescherte ihm viele treue Fans. Heinrich ist aber nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Regisseur und Synchronsprecher sehr erfolgreich.

Sie trinken ein Glas Wein zu Ihrem Carpaccio – das erfreut des Pfälzers Herz …

Jürgen Heinrich: Was die Pfälzer bestimmt auch erfreuen wird, ist, dass ich in einer neuen Produktion einen Winzer spiele. Wir drehen in Neustadt an der Weinstraße. Der Film heißt „Weingut Wader“ und ich werde den Winzer Bruno Wader spielen. Deswegen werde ich demnächst auch öfter in der Pfalz sein. Und wenn es gut anläuft, werden wir dieses Jahr vielleicht sogar noch einen 90-minütigen Film drehen. Die Euphorie aller Beteiligten ist groß. Es gibt nicht viele Bücher, bei denen man sagen kann, dass es ein außergewöhnlich gutes Buch ist. In der Regel ist es so, dass man sich viele Geschichten schöner guckt, als sie letztendlich sind. Mitunter mangelt es vielen Geschichten an guten Konflikten. Weil viele Zuschauer keine Konflikte, sondern lieber Happy Ends sehen wollen. Aber in dem Film „Weingut Wader“ gibt es viele nachvollziehbare und alltägliche Konflikte.

Die Pfälzer können also gespannt sein …

Jürgen Heinrich: Ich bin auch gespannt. Ich bin schon lange nicht mehr mit so viel Vorfreude auf eine Produktion zugegangen, wie auf diese. Okay, auf Rosamunde Pilcher habe ich mich auch gefreut. Da habe ich den Fischer Joe Pescoe gespielt, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Wissen Sie, ich habe schon viele Rollen gespielt und hatte immer das Glück, den Beruf, den ich im Film ausgeübt habe, auch wirklich auszuprobieren. Ich konnte als Maurer mauern, als Schweißer habe ich geschweißt. Ich habe aber leider während der Dreharbeiten für „Wenn Fische lächeln“ nicht in das Berufsbild des Jakobsmuschel-Fischers reinblicken können.

Redakteurin Patrizia Di Paola mit dem Schauspiler Jürgen Heinrich. (Foto: privat)

Sie kommen ja, im entfernten Sinne, aus dem Bereich. Sie haben im wirklichen Leben eine Ausbildung als zum Schiffbauer.

Jürgen Heinrich: Zum Stahlschiffbauer, ja. Das hatte aber mit der Fischerei in dem Sinne nichts zu tun. Ich bin in der ehemaligen DDR, in Magdeburg zur Schule gegangen. Und in der DDR war es üblich, dass man das Abitur nicht nur machte, um später studieren zu gehen. Es gab einen Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion, so hieß das damals. Und so wollte man uns den praktischen Beruf näherbringen. Und das hatte die Folge, dass ich während meiner Schulzeit fast einen Abschluss als Stahlschiffbauer gemacht hätte. Ich hätte aber nach dem Abitur noch ein Jahr für die praktische Ausbildung dranhängen müssen, denn während der Schulzeit war man nur sporadisch draußen. Damals träumte ich aber davon, Schauspieler zu werden, war mir aber unsicher, ob es klappt. Die Leute in meinem Umfeld haben mir abgeraten, weil sich an der Schauspielhochschule in Leipzig für 20 Plätze über tausend Bewerber meldeten. Na gut. Ich habe mich dann doch beworben, mit 1.200 anderen und wurde genommen. Dennoch bin ich froh, die Grundausbildung zum Stahlschiffbauer gemacht zu haben, das hat mir im Leben sehr geholfen. Ich bin ohnehin ein sehr praktischer Mensch, ich habe keine linken Hände.

Wie sind Sie dann zur Schauspielerei gekommen?

Jürgen Heinrich: Meine Deutschlehrerin hat viel deutsche Literatur und auch klassische Stücke von Geothe und Schiller im Unterricht durchgenommen. Dann sollte ein Theaterstück aufgeführt werden. Sie wählte ein Stück von Goethe – Egmont. Und Egmont hatte eine Geliebte – Clärchen. Egmont soll in dem Stück wegen Hochverrats von den Spaniern hingerichtet werden. In meiner Klasse gab es eine Irene, die sollte das Clärchen spielen. Und ich war in Irene verliebt, ohne das mein Verliebtsein erwidert wurde. Alle wussten es. Und als Fräulein Dominik, meine Lehrerin, fragte, wer denn den Egmont spielen möchte, schrien alle Mädchen in der Klasse: „Jüüüürgen“! Und ich saß da mit einer roten Birne. Da habe ich mir innerlich gesagt: „Ihr werdet mich schon nicht mehr auslachen.“ Und dann habe ich diesen Egmont gespielt, der wusste, dass er stirbt und dieser Frau sagt, dass er sie liebt und dass das Leben für sie auch ohne ihn weitergehen muss. Und da hörte ich schon rechts und links das Schniefen meiner Mitschüler. Und dann habe ich noch mehr Gas gegeben und habe die Rolle noch einfühlsamer gesprochen. Das war quasi meine Generalprobe. Und als das Stück zu Ende war, herrschte Stille in der Klasse. Und dann sagte Fräulein Dominik: „Da danke ich euch beiden aber sehr. Das war sehr beeindruckend.“ Und an mich gewandt: „Sagen Sie mal, Jürgen, haben sie schon einmal darüber nachgedacht, Schauspieler zu werden?“ Das hatte ich nicht.

Wie alt waren Sie damals?

Jürgen Heinrich. 16 Jahre. In dem Moment war ich selber davon überzeugt, ich hatte ja die Wirkung gesehen. Ich war auch ein sehr enthusiastischer Theatergänger. Ich habe mir alles im Theater angeguckt. Ich habe Theaterstücke aufgefressen (lacht). Aber irgendwie hat mir bis zu diesem Zeitpunkt das Selbstbewusstsein gefehlt, zu sagen, dass ich gerne Schauspieler werden würde. Und durch den Umstand, dass meine Mitschüler „Jüüüürgen“ schrien, als Fräulein Dominik fragte, wer den Egmont spielt, war ich genötigt. Ich hatte gar keine andere Wahl. Wenn ich abgelehnt hätte, wäre ich feige gewesen.

Hat sich Irene denn in Sie verliebt?

Jürgen Heinrich: Nein, leider nicht. Aber dazu kann ich eine andere Geschichte erzählen. Ich wurde relativ schnell bekannt in der DDR. Dann bin ich jedoch politisch in Ungnade gefallen und hatte Berufsverbot in der DDR und dann bin ich in den Westen gegangen. Meine damaligen Mitschüler haben sich immer mal wieder aus Tradition getroffen, aber ich konnte ja nie dabei sein, weil ich dann im Westen war. Ungefähr 30 Jahre nach dem Abitur habe ich dann Irene bei so einem Traditionstreffen wiedergesehen. Ihr Mann war fürchterlich eifersüchtig, weil immer noch die Geschichte von Egmont und Clärchen erzählt wurde. Am Morgen nach dem Treffen packte ich in meinem Hotelzimmer meinen Schlafanzug und meine Waschutensilien ein, verließ das Zimmer und wollte gerade die Tür hinter mir zuziehen, als das Telefon klingelte. Das war wirklich wie in einem Film. Ich nahm ab: „Hallo Jürgen, hier ist Irene. Ich wollte dir nur sagen, wie glücklich ich bin, dass ich dich getroffen habe und wie glücklich ich bin, dass es dir beruflich so gut geht. Ich habe deinen Werdegang immer verfolgt und ich bin stolz, einen Anteil an deinem Erfolg zu haben, nur dadurch, dass ich damals dein Clärchen war.

Wenn Sie heute noch einmal die Wahl hätten, würden Sie sich wieder für die Schauspielerei entscheiden?

Jürgen Heinrich: Ja. Obwohl ich mir gut hätte vorstellen können, Goldschmied zu werden. Ich habe eine kleine Werkstatt und arbeite gerne mit Materialien. Ich mache Intarsienarbeiten mit Holz und verschiedenen Metallen. Oder Kunsttischler, das wäre vielleicht auch etwas für mich gewesen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich als Goldschmied oder Kunstschmied die gleiche Erfüllung gefunden hätte, die ich nun in dem Schauspielberuf gefunden habe. Und ich glaube auch nicht, dass ich mich in einem anderen Beruf so vielfältig hätte entfalten können. Ich bin ja nicht nur Schauspieler, sondern ich habe über tausend Filme synchronisiert, Filmregie geführt, Drehbücher geschrieben. Und diese Breite der Beschäftigung ist einmalig. Ich glaube sogar, dass ich ein besserer Regisseur als Schauspieler bin. Als Regisseur könnte ich meine Fantasien viel besser ausleben. Und ich kann gut mit Schauspielern arbeiten. Das fängt an bei der Zusammenstellung des Ensembles. Ich habe einen ganzen Stapel an Treatments (Anmerkung der Redaktion: kurze Darstellung der Kernhandlung eines Films).

Im Krimi „Tod auf der Insel“ spielt Jürgen Heinrich. Karl Hansen. Der Film läuft am 13. Mai auf ZDFneo. (Foto: ZDF/Hannes Hubach)

Aber als Regisseur kennt man Sie noch nicht …

Es gibt Produzenten, die sagen, meine Treatments seien toll, aber einen Redakteur oder Sender, der meine Ideen umsetzen möchte, habe ich bisher noch nicht gefunden. Immer heißt es nur: „Meinen Sie wirklich, dass das bei den Zuschauern ankommt?“ Dann heißt es immer: „Die Quote…“ Und dann kommt auch immer ein Satz wie: „Herr Heinrich, so etwas gab es ja noch nie.“ Dann sage ich: „Ja, eben, das ist doch ein guter Grund“.

Wurde auch mal etwas von Ihren Treatments verfilmt?

Ich habe acht Filme von Wolffs Revier inszeniert und wurde einmal für den bayerischen Fernsehpreis mit einer Regiearbeit vorgeschlagen. Ich habe ihn nicht bekommen. Aber das hat mir gezeigt, dass die was in mir sehen, was ich selbst auch in mir sehe. Ich habe nach Wolffs Revier einigen Regisseuren CDs mit den für mich besten meiner Filme geschickt, aber es gab nicht einmal eine Antwort von denen. Das wäre doch das Mindeste gewesen. Aber es kam nichts. Ich hatte mal eine Agentin, die mich als Schauspieler vertreten hat. Der habe ich auch Filme von mir gezeigt und sie gebeten, mich als Regisseur zu vertreten. „Ach Jürgen“ sagte sie nur, versprach mir dann aber, sich umzuschauen. Ich hörte dann eineinhalb Jahre nichts mehr von ihr in diesem Anliegen. Und dann stellte sie mir einen Herrn vor, einen jungen Regisseur, den sie nun auch vermittelte. Am nächsten Tag habe ich ihr gekündigt. Sie hatte sich meine Filme nie angesehen. Das hat mich nicht nur gekränkt, mein Vertrauen in sie war zerstört. Das habe ich ihr nie erzählt, vielleicht liest sie es jetzt ja.

War das das Ende Ihrer Versuche, auch als Regisseur bekannt zu werden?

Jürgen Heinrich: Heute kann man ja ganz einfach in die Mediathek von Sat.1 Gold gehen und sich die Folgen von Wolffs Revier ansehen. Ein paar von den Folgen habe ich inszeniert. Meine Kollegen und ich haben uns mal die Mühe gemacht, die über 180 Folgen zu bewerten und eine Liste mit den zehn besten zu dokumentieren. Darunter waren drei Filme, die ich selbst inszeniert habe, wie „Tod oder lebendig“. Der meiner Meinung nach beste war aber „Der Yankee Bomber“ von Steve Brown. Die Amerikaner können etwas, was wir Deutschen nicht so gut können: Es läuft neben der einen Handlung immer noch eine andere, wie auf Schienen. Und du weißt, irgendwann treffen die Handlungen aufeinander und dadurch entsteht eine enorme Spannung. Meine erste Regie war übrigens auch ein Steve Brown. Da habe ich das ganze Drehbuch umgeschrieben. Das war mir zu amerikanisch. Daraufhin sagte er zu mir: „I saw your first direction. Never change my story again. But I please you to direct the next.“ (Übersetzung der Redaktion: Ich habe deine erste Regie vorbeifliegen sehen, versuch nie wieder meine Geschichte zu verändern. Bei der nächsten bist du aber bitte wieder dabei.)

Worauf sind Sie stolz?

Jürgen Heinrich: Ich bin tollen Menschen in meinem Leben begegnet, die mich ermutigt und stark gemacht haben. Ich habe viel Glück in meinem Leben gehabt – nach dem Desaster in der DDR, als ich aus dem Land gescheucht wurde. Und dann wurde ich doch noch einmal so erfolgreich, darauf bin ich sehr stolz.