Anja Reschke moderiert nicht nur das Politik-Magazin „Panorama“, sondern ist auch Leiterin des NDR Programmbereiches Kultur und Dokumentation. (Foto: NDR/Hendrik Lüders)

Steckbrief: Anja Reschke

  • Geboren am 7. Oktober 1972 in München.
  • Studium: Politikwissenschaft, Geschichte und Sozialpsychologie.
  • 1993-1998: freie Reporterin bei Antenne Bayern.
  • 1998 volontierte sie beim NDR und war danach für viele Redaktionen des NDR als Autorin tätig.
  • Seit Juli 2001 moderiert sie die Sendung „Panorama“.
  • Seit 2019: Leiterin des NDR Programmbereiches Kultur und Dokumentation. 
  • Auszeichnungen u. a.: „Journalistin des Jahres“ (2015, Medium Magazin),  Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik (2018)

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Lassen Sie uns ganz allgemein beginnen: Was treibt Sie als Journalistin an? Wieso haben Sie diesen Beruf gewählt?

Es gibt zwei Seiten: Zum einen ist Journalismus einfach ein großartiger Beruf, weil man in so verschiedene Lebensbereiche schauen kann, mit so unterschiedlichen Menschen ins Gespräch kommt und dabei immer wieder unglaublich viel lernt. Zum anderen ermöglicht es diese Arbeit, denjenigen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden, oder Aufmerksamkeit auf  Themen zu lenken, die vielleicht im Verborgenen liegen. Und wenn man es schafft, damit zum Nachdenken anzuregen oder den Blick des Publikums zu erweitern, vielleicht auch Veränderungen zu bewirken, ist das ein gutes Gefühl.  

War es – mit dieser Motivation im Hinterkopf – ein spezieller Karrierewunsch, bei einem Sender mit großer Reichweite zu arbeiten? 

Natürlich erreicht man mit größerem Publikum auch mehr Menschen und es ist toll, in der ARD zu arbeiten! Aber beim Drehen, beim Produzieren, beim Senden – da denke ich nicht darüber nach, ob ich das gerade für 100 Zuschauer oder für 3 Millionen Zuschauer mache. Ich gebe mir in der Volkshochschule, wo ich vor 20 Zuschauern spreche, genau so viel Mühe wie im Studio bei der Aufzeichnung von Panorama, was dann mehrere Millionen Menschen erreicht. Wichtig ist, dass man überhaupt eine Plattform hat. 

Sie wären mit gleichem Eifer auch bei einem Lokalsender glücklich?

Kleinere Sender oder Regionalzeitungen haben ein großes Gewicht – vielleicht berührt man Menschen auf regionaler Ebene sogar noch mehr als wir das können, weil man automatisch näher dran ist. Ich finde, dass die Regionalberichterstattung in Deutschland zu wenig wertgeschätzt wird. Auch wenn es um Debatten rund um die große ARD geht – alle betrachten immer nur das Haupt- und Primetime-Programm. Aber was schauen die Menschen zuhause denn? Das ist doch das Schleswig-Holstein- oder das Nordmagazin, oder bei Ihnen in der Region die Landesschau Rheinland-Pfalz. Da muss eigentlich viel mehr Augenmerk drauf liegen. 

Sie sind ja nicht nur Panorama-Moderatorin, sondern haben noch einige andere Aufgabengebiete beim NDR. Wie sieht denn Ihr Arbeitsalltag aktuell aus?

Ich bin Programmbereichsleiterin „Dokumentation und Kultur“ beim NDR. Ich beschäftige mich also inzwischen einen Großteil meiner Zeit mit internen, strukturellen Prozessen und bin für weit über 100 Mitarbeiter verantwortlich. Dabei spielt natürlich auch die digitale Zukunft eine große Rolle, ich bin im Austausch mit den einzelnen Redaktionen, sammle Ideen, wie Formate gut im Netz umgesetzt werden können, muss Entscheidungen treffen, wo wir unsere Ressourcen weiterentwickeln und welche Projekte wir besser fallen lassen. Das ist Teil meines Jobs als Leiterin. Aber mir ist der journalistische, publizistische Teil meiner Arbeit auch sehr wichtig. Und moderieren, veröffentlichen, Präsenz auf Podien oder Veranstaltungen, bei öffentlichen Debatten zu zeigen und übrigens auch gute Moderationen zu schreiben, ist wirklich viel Arbeit. 

Anja Reschke im NDR-Studio. (Foto: NDR/Hendrik Lüders)

Gerade in Ihrer Position ist es ja enorm wichtig, die Trends in der Medienbranche zu verfolgen. Nicht nur die Themen sind durch Social Media sehr schnelllebig geworden, sondern auch die technischen Möglichkeiten. Wie behalten Sie den Überblick?

Das Wichtigste ist es, sich selbst klar zu machen: Wen will ich erreichen? Danach muss sich ausrichten, was ich anbiete, also welche Inhalte und auf welchem Kanal. Letztendlich geht es immer darum, Informationen so interessant aufzubereiten, dass Menschen sich das gerne ansehen, bzw. durchlesen oder anhören. Ob man den Spannungsbogen mit einem kurzen, lustigen Video mit Musikuntermalung oder einem 90-minütigen Dokumentarfilm aufbaut, ist am Ende egal. Man muss nur aufpassen, dass man sich nicht verzettelt. Deswegen ist die Frage nach dem Zielpublikum so wichtig. Denn auch das ist etwas, was viele bis heute nicht verstanden haben: Hinter jedem erfolgreichen Social Media-Kanal steckt enorm viel Arbeit. Das ist nichts, was nebenbei laufen kann!  

Wie schwer war es, das ins „öffentlich-rechtliche Bewusstsein“ zu bringen? 

Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in manchen Dingen etwas träge ist, liegt vor allem an der Größe. Ein komplettes Umsteuern in der ARD zu erreichen, ist insofern kompliziert, als dass es ja neun Landesrundfunkanstalten gibt, deren Intendanten, Programmdirektoren, Abteilungsleiter, Redaktionsleiter man ja erstmal unter einen Hut versammeln muss. Das bedeutet: Neun Intendanten, noch viel mehr Programmdirektorinnen, Abteilungsleiter, Redaktionsleiter. Klar, 8 Milliarden ist viel Geld, mit dem man auch viel bewegen kann – aber dafür wird auch einfach wirklich viel und auch viel unterschiedliches Programm gemacht! 

Wenn man, wie Sie, diese Einblicke hinter die Kulissen hat, ist es da nicht manchmal frustrierend, zu beobachten wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer härter kritisiert wird und Vertrauen verliert?

Hier geht es um Wahrheit und gefühlte Wahrheit: Auf der einen Seite kann man den Eindruck kriegen, wenn man so bestimmte Medien, soziale wie traditionelle verfolgt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von allen Seiten angegriffen wird – sowohl von politischer Seite als auch von privaten Medienkonzernen, wie beispielsweise dem Springer-Verlag. Dann kann man das Gefühl bekommen, ganz Deutschland sei unzufrieden mit dem ÖRR. Wenn man sich allerdings Umfragen anschaut und der Frage nachgeht, was die Leute wirklich sehen wollen, kommt man sehr schnell wieder zum Thema Regionalität. Die einzelnen Sender, also NDR, SWR, BR, MDR usw., genießen ein sehr hohes Vertrauen und werden gerne geschaut. Und auch insgesamt ist das Ansehen des ÖRR in der Pandemiezeit sogar gestiegen. Man darf sich an unserer Stelle also nicht verrückt machen lassen. Dass wir uns immer wieder rechtfertigen müssen, ist dennoch absolut in Ordnung. Der ÖRR bekommt viel Geld – und das ist das Geld aller Menschen in Deutschland. Dass hier immer wieder hinterfragt und kritisiert wird, ist ein gutes Zeichen für unser Land!

Wie ordnen Sie dann die Äußerungen von Hans-Georg Maaßen ein, der der Tagesschau-Redaktion vorwirft, zu links zu sein und sogar Beziehungen zur linksradikalen Szene zu haben? 

Das Problem ist in diesem Fall nicht, dass sich die Öffentlichkeit kritisch mit dem ÖRR auseinandersetzt – denn das ist, wie gesagt, richtig und wichtig! Aber bestimmten Gruppierungen wie der AfD oder auch Herrn Maaßen geht es meinem Eindruck nach nicht um sachliche Kritik, sondern darum, dass sie ihr Wählerklientel bedienen und letztendlich auch ein ziemlich anders Weltbild vermitteln wollen. Wir ringen doch gerade alle um gesellschaftliche und politische Positionen, um den Stellenwert der Demokratie. Und wenn Herr Maaßen die Tagesschau als zu links bezeichnet, dann versucht er, auf sehr billige Art und Weise, die freie Presse zu diffamieren und damit Wählerstimmen zu fangen. Für einen ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten ein äußerst bedenklicher Weg.

Haben Sie den Eindruck, die Spaltung der Gesellschaft ist gravierend größer geworden? Hat sich Ihre Arbeit vor diesem Hintergrund in den 20 Jahren, die Sie für Panorama arbeiten, verändert?

Ich kann eine Veränderung ziemlich zeitgenau festmachen: Die ersten 14 Jahre bei Panorama waren – gemessen an heute – relativ unaufgeregt. Natürlich sind wir mit unseren Themen mal angeeckt – aber die Stimmung im Land war insgesamt stabil. Das hat sich mit der Ukrainekrise geändert. Es wurde plötzlich extrem hart und extrem kritisch mit der Berichterstattung umgegangen. Das war der Beginn der Vertrauenskrise, würde ich sagen – und diese bezog sich nicht alleine auf die Arbeit der Journalisten, sondern vielmehr auf die Regierung. Diese Stimmung hat sich – ich kann es nicht anders sagen – stetig noch weiter verschärft. Die Fronten in der Gesellschaft haben sich verhärtet und die Pandemie war dabei ein zusätzlicher Brandbeschleuniger. Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, gab es zwar schon immer, aber das Ausmaß ist neu. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung! Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie wir da wieder rauskommen können.

Für viele ist es nicht immer einfach, auf den ersten Blick zu unterscheiden, ob ein Beitrag im Netz auf gut recherchierten Fakten beruht oder reine Meinungsmache ist. Wie hoch ist da das Frustpotential, wenn man, wie Sie, die Menschen mit journalistischen Inhalten aufklären möchte – und trotzdem schenken einige dem Youtube-Nischen-Kanal mehr Glauben? 

Dass Menschen sich Meinungen auch auf Grundlage von Falschinformationen gebildet haben – das gab es schon immer. Durch das Internet gibt es nun viel mehr Möglichkeiten, vermeintliche Alternativen zu verbreiten. Eine Radikalisierung passiert viel schneller als früher. Klar ist das frustrierend für die Seite derjenigen, die sich mit den seriösen Fakten auseinandersetzen. Aber man muss es ab einem gewissen Punkt auch einfach akzeptieren und sich klar machen, dass man den Teil der Bevölkerung, der in Verschwörungsmilieu abgeglitten ist, nicht mehr erreicht. 

Wird diese Spaltung der Gesellschaft bei der Bundestagswahl eine Rolle spielen?

Wenn man davon ausgeht, dass im Schnitt rund 20 Prozent der Bevölkerung zumindest starke Zweifel an der Demokratie und der aktuellen politischen Ordnung haben, dann sind immer noch 80 Prozent übrig. Ein wenig spricht da vielleicht auch die Hoffnung aus mir: Ich habe aber immer noch den Eindruck, dass wir uns da auch bei der Wahl im „soliden Feld“ bewegen werden. Dennoch merkt man schon, dass die Stimmung eine andere ist als noch vor der letzten Wahl, der Wahlkampf läuft ganz anders ab.

Was meinen Sie konkret?

Der Wahlkampf ist noch viel stärker durch Social Media getrieben als noch vor vier Jahren. Jeder Blick, jede Mimik, jedes krumme Wort wird auf den Plattformen zerlegt und bis ins Detail debattiert wird. Und gleichzeitig geht es so gut wie gar nicht um Inhalte. Das ist doch absurd. Die ganze Welt streitet sich darüber, ob Armin Laschet nun „junge Frau“ gesagt hat oder nicht oder was Annalena Baerbock in ihrem Buch jetzt wie abgeschrieben hat. Ich will beide nicht verteidigen, aber es gäbe genügend wichtigere Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssten!

Aber ist es nicht auch die Verantwortung der großen Medien, wenn der Fokus nicht auf den Inhalten liegt?

Es gibt ja Unmengen von Publikationen – Zeitungen, TV-Sendungen, Radiosendungen –, die sich sehr solide und seriös mit den Inhalten auseinandersetzen, deutlich mehr als diejenigen, die Unfug verbreiten. Aber in einer Welt, die von Klicks, Algorithmen, Kommentaren und Likes lebt, sind die Themen rund um die Persönlichkeiten viel attraktiver. Denn es ist leichter, sich als Konsument mit Baerbocks Buch oder Laschets Lachen zu beschäftigen als sich mit dem Mietendeckel oder Pandemie auseinanderzusetzen. Und gerade privatwirtschaftliche Medienunternehmen sind auf Klicks und Werbeeinnahmen angewiesen, weshalb es sich natürlich lohnt, diese Themen zu platzieren. Das ist eine bescheuerte Spirale, in der wir uns da befinden. Die wenigsten Journalisten wollen das.

Wagen Sie eine Prognose für die Bundestagswahl?

Das ist extrem schwer. Natürlich kann man Umfrageergebnisse verfolgen und daraus seine Schlüsse ziehen, aber am Beispiel US-Wahl oder dem Brexit hat man gesehen, wie trügerisch das sein kann. Ich finde es jedenfalls interessant zu beobachten, dass Frauen offensichtlich immer noch anders behandelt werden in öffentlichen Debatten – obwohl wir nun so viele Jahre eine Bundeskanzlerin und viele Ministerinnen hatten. Es gibt immer noch eine lautstarke, konservative Strömung, die sich wehrt. Baerbock ist eine Frau und dann auch noch von den Grünen! Diese Kombination als Führungskraft können sich manche offensichtlich aus Prinzip absolut nicht vorstellen, und zwar unabhängig von den Inhalten. Nicht, dass mich das wahnsinnig überrascht, aber ich finde es schade! Deswegen zweifle ich aber auch daran, ob das Land schon bereit für eine Grüne Kanzlerin wäre. Letztendlich spiegelt sich bei der Bundestagswahl ein Clash der Generationen wider, und auch der Kontrast zwischen Stadt und Land spielt eine wichtige Rolle.   

Zum Abschluss eine ganz andere Frage: Warum sieht man Sie so oft mit gelben Blusen im Fernsehen?

Ich glaube, dass dieser Eindruck vor allen deswegen entsteht, weil es viele Pressefotos von mir in Gelb gibt. Aber es ist tatsächlich so, dass es echt schwierig ist, sich für eine Studiosendung richtig anzuziehen. Unser Panorama-Studio ist sehr dunkel, ich kann also keine dunklen oder blauen Teile tragen, sonst verschwinde ich in der Deko. Außerdem befinden sich im Hintergrund große LED-Leinwände, die den Zuschauer ablenken, aber der soll ja möglichst meiner Moderation zuhören. Also muss ich irgendwie auf mich aufmerksam machen. Und da helfen Signalfarben wie Gelb oder Rot! Aber nicht nur die Farbe, sondern auch das Material spielt eine enorm wichtige Rolle. Wenn etwas im Laden super aussieht, heißt das noch lange nicht, dass es auch im Scheinwerferlicht gut rüberkommt. Da tauchen im Licht plötzlich Falten auf, die haben Sie nie vorher gesehen! Das Kleidungsthema im Fernsehen ist wirklich kompliziert. Da haben es die Männer einfacher.  Die haben ihre drei Anzüge, auf die sie immer wieder zurückgreifen können.

Da sind wir wieder bei der Ungleichbehandlung! Als Frau darf man nicht mit nur drei variablen Outfits vor die Kamera, ohne dass es diskutiert wird.

Vielleicht müsste man es auch einfach mal ausprobieren! Wir Frauen sollten das durchziehen: Wir suchen uns zwei bis drei Kombinationen aus und tragen diese einfach immer – und dann sehen wir ja, was passiert. Sparsamkeit und Minimalismus liegen ja immerhin im Trend! (hea)