Die Frau mit den tausend Gesichtern

UNTER VIER AUGEN: PFALZ-ECHO-Redakteurin Patrizia Di Paola traf sich in München mit Schauspielerin Michaela May und sprach mit ihr über die Wiedergeburt als Italienerin

Eigentlich heißt sie Gertraud Mittermayr – aber als ihre Karriere als Schauspielerin so richtig ins Rollen kam, legte man ihr nahe, sich einen Künstlernamen zuzulegen. Den Nachnamen May hat sie aus ihrem eigentlichen nachnamen abgeleitet, der Vorname Michaela habe ihr einfach gut gefallen. Die 65-Jährige zählt heute noch zu Deutschlands beliebtesten Schauspielerinnen. Ihren ersten großen Auftritt hatte sie als Zwölfjährige in dem Kinofilm „Onkel Toms Hütte“. Heute kennt man sie vor allem aus ihren glänzenden Rollen als Kommissarin im Polizeiruf.

Sie haben in Ihrem Leben schon unheimlich viele verschiedene Rollen gespielt – Kommissarin, Mutter, Großmutter, Hexe, sogar schon zweimal die Rolle einer Prostituierten – welche Rolle hat ihnen am besten gefallen?

Michaela May: Ich glaube, man hat immer die Rolle am liebsten, in der man gerader steckt. Es gibt so ein paar Stationen in meiner Münchener Geschichte, zum Beispiel die ganzen Dietl-Filme. Eine wichtige Zeit war für mich auch der Polizeiruf. Was mir an meinen Rollen so gut gefällt, ist, dass sie so variabel sind. Es ist mir ein großes Vergnügen, dass es mir gelungen ist, dass man mich nicht in eine Schublade stecken kann. Dass ich sowohl in einem Krimi über die Prostituierte bis zur Hexe alles spielen kann und darf. Das Gegensätzliche zeigt sich auch in den beiden letzten Filmen, die ich dieses Jahr für das ZDF gemacht habe. In dem einen Film „Sommer im Allgäu“ spiele ich eine Bäuerin, die ihre kranke Tochter wieder aufnimmt, in dem anderen Film „Katie Fjorde“ spiele ich eine übergriffige Mutter, die in das Leben ihrer Tochter eindringt. Das sind zwei völlig unterschiedliche Menschen, vor allem mental. Das macht meinen Beruf aus. Und deswegen kann ich auch nie sagen, dass mir die eine Rolle besser gefällt als die andere. Das schönste an meinem Beruf ist, dass es so eine große Abwechslung in den Rollen, Mentalitäten und Lebensentwürfen von Menschen gibt, die ich nachspielen darf. Und dass ich so viele Leben „leben“ darf. Und dass jedes Leben seinen eigenen Reiz hat. Ich nehme jede Rolle ernst – ob es leichter Stoff, eine Komödie ist, oder ob es um ein ernstes Thema geht. Das Publikum lobt Schauspieler immer gerne für Weinszenen, aber dass die Komödie mindestens so schwer ist zu spielen, und dass es genauso schwierig ist, Menschen zum Lachen zu bringen, wie zum Weinen, das wird oft vergessen.

Würden Sie sagen, dass es bestimmte Rollen gibt, die schwieriger zu spielen sind? Ist es zum Beispiel schwieriger, eine Kommissarin zu spielen als eine Mutter?

Michaela May: Schwierig ist das falsche Wort in diesem Beruf. Es ist oft aufwendiger, bestimmte Fertigkeiten zu erlernen, in Genres reinzuschauen und diese anzunehmen. Es ist oft schwieriger, andere Leben für sich anzunehmen und es glaubwürdig wiederzugeben. Manche Bücher sind so geschrieben, dass die Ausführungen an der Oberfläche bleiben. Dann muss man als Schauspieler tiefer graben und die Hintergründe aufdecken, warum die Person in der Geschichte nun so reagiert und handelt und nicht anders. Wenn man diese Person dann spielt, muss man versuchen, seine Erkenntnisse mit einzubauen. Es gibt aber auch Bücher, die so exzellent geschrieben sind, dass es weniger schwierig ist, einzutauchen und dann fällt es einem natürlich auch leichter, eine Figur glaubwürdig rüberzubringen. Das hat also sehr viel mit der Qualität eines Drehbuchs zu tun und mit der Stimmigkeit dieses: Nimmt die Geschichte mich in ihren Bann? Was fehlt der Geschichte? Was muss ich als Schauspieler vielleicht noch dazu erzählen, damit der Zuschauer begreift, warum die Person jetzt so und nicht anders reagiert. Das ist die Schwierigkeit.

Beim ZDF-Pressetag in München traf Patrizia Di Paola auf die sympathische Michaela May. (Foto: privat)

In Ihrer sehr langen Bühnen- und Schauspielkarriere waren Sie immer präsent, Sie sind nie wirklich von der Bildfläche verschwunden. Wie haben Sie das geschafft?

Michaela May: Ich wusste schon früh, dass es schwer ist, wieder zurückzukehren, wenn man in diesem Beruf mal für eine Zeit lang etwas abtaucht. Ich habe immer versucht, auch nach der Geburt meiner Kinder, relativ schnell wieder einzusteigen. Ich habe mir wenige Auszeiten gegönnt oder gönnen wollen. Mir macht der Beruf solchen Spaß, dass ich eigentlich immer gerne gearbeitet, gedreht, gespielt habe. Ich lebe gerne andere Leben. Die Schauspielerei ist mein Lebenselixier. So wie andere vielleicht gerne surfen oder Rad fahren oder anderen Hobbies nachgehen. Mein Hobby ist es eben, zu spielen und ich habe eine große Freude daran, auch wenn es oft anstrengend ist, in diesem Beruf zu arbeiten. Das liegt aber auch daran, dass ich Geschichten, die mir nicht gefallen habe, auch nicht gespielt habe. Ich bin auch aus Serien rausgegangen, wenn ich keine Lust mehr darauf hatte, Seriendauerbrenner zu sein. Ich habe immer wieder nach Abwechslung gesucht. Deswegen kann man mich auch nicht so eindeutig einer bestimmten Rolle oder einem Genre zuordnen. Es gab mal eine Zeit, als ich die ganzen bayrischen Serien gemacht habe, da war ich „die Bayrische“. Dann bin ich aber nach Hamburg gegangen und nach Paris und habe Haken geschlagen, um zu zeigen, dass ich auch ganz anders sein kann. Das hat mir, glaube ich, auch ganz gut getan. So konnte ich meine Vielfältigkeit bis heute behalten.

Wie sind Sie eigentlich zur Schauspielerei gekommen? Eigentlich haben Sie ja den Beruf der Erzieherin gelernt…

Michaela May: Ich bin über das Kinderballett dazu gekommen, also schon bevor ich die Ausbildung zur Erzieherin gemacht habe. Beim Kinderballett wurde ein Kind für einen Werbedreh gesucht und darüber bin ich dann zum Fernsehen gekommen. Und dann habe ich gleich zwei große Filme gedreht: „Heidi“ und „Onkel Toms Hütte“. Bei „Heidi“ habe ich die Klara gespielt. Onkel Toms Hütte war damals, 1963, eine riesengroße, internationale Produktion. Nach diesen beiden Filmen habe ich noch viele andere gedreht, aber ich wollte wieder zurück in die Schule und habe mich dazu entschieden, neben meiner Schauspielerei noch die Ausbildung zur Kindergärtnerin zu machen. Über Helmut Dietl und Franz Xaver Bogner bin ich wieder zurück zur Schauspielerei gekommen – und dabei bin ich dann auch geblieben.

Ich schlage jetzt mal einen Bogen zu Ihrem aktuellen Film „Ein Sommer im Allgäu“. Ich empfinde diesen, trotz des tragischen Hintergrunds, in gewisser Weise auch als einen Heimatfilm. Was bedeutet Ihnen Heimat?

Michaela May: Heimat sind für mich auf jeden Fall die Menschen, nie der Landstrich. Vielleicht bedeutet Heimat für mich auch Gewohnheiten, die man hat. Nachdem ich in München aufgewachsen bin und immer noch hier lebe, sind es natürlich bestimmte Dinge, die ich mit Heimat verbinde, wie zum Beispiel eine gute Brezn. Das würde mich aber nicht stoppen, woanders zu leben, das wären nur die Menschen. Für mich sind meine Freunde, mein Mann, die Liebe zu meiner Mutter und meinen Kindern wichtig. Meine Kinder sind in London und Berlin – und wenn ich dort bin, bei ihnen, sind auch London oder Berlin Heimat für mich. Ich selbst bin ja wie ein Zigeunerkind aufgewachsen. Dadurch, dass ich schon so früh gedreht habe, war und bin ich heute noch sehr viel unterwegs. Und ich suche mir dann immer an dem Ort, wo ich gerade bin, etwas, was ich besonders liebe. Diese Dinge kann man aber auch nicht transportieren. Man kann zum Beispiel in Berlin auch keine Brezn essen, das schmeckt einfach nicht so wie in München. Oder ich mag den Parmaschinken in Italien lieber als hier. Deswegen genieße ich immer dort, wo ich bin, das, was es gibt. Wenn ich alleine in einer fremden Stadt oder einem fremden Land bin, vermisse ich meine Familie oder Freunde, nicht aber München oder Deutschland.

(Foto: ZDF/Hans-Joachim Pfeiffer)

Waren Sie schon einmal in der Pfalz?

Michaela May: Ja, Anfang dieses Jahres, im Januar, Februar, waren wir auch Tournee mit dem Stück „Die Wunderübung“. Da haben wir auch Halt in der Pfalz gemacht. Und ich habe Wein gekauft (lacht). Eine wunderschöne Region. Ich verbinde mit der Pfalz den sehr guten Wein und die sehr gute Gastronomie.

Stellen Sie sich einmal vor, wir würden die Uhr zurückstellen und alles auf „Null“ stellen. Sie haben gerade Ihren Schulabschluss gemacht. Welchen Berufsweg würden Sie einschlagen?

Michaela May: Das ist keine Frage (lacht). Ich würde auch heute wieder die Schauspielerei wählen, weil es einfach mein Lebenselixier geworden ist. Und wenn man sagen kann, dass man das in seinem Leben macht, was einen wirklich glücklich macht, dann ist es wirklich schön.

Auch wenn Sie nicht so erfolgreich gewesen wären?

Michaela May: Das kann ich nicht beurteilen. Aber ohne Erfolg in diesem Beruf, ist es nicht schön. Ich habe mir immer gesagt, wenn ich mal keine guten Rollen mehr bekommen sollte, dann mache ich lieber etwas anderes. Dann wäre ich Blumenverkäuferin geworden. Ich habe immer sehr gerne gegartelt und bin gerne in der Natur. Und das mache ich immer noch gerne.

Ihre Freizeit verbringen Sie also in Ihrem Garten?

Michaela May: Ich habe eine Dachterrasse mit ganz vielen Pflanzen. Aber ich halte mich auch gerne in der Natur auf und mache Bergtouren. Am Meer bin ich auch gerne oder an Seen und Flüssen– ich mag keine Pools. Ich bin quasi ein Naturwasser-Bader. Fließendes Wasser inspiriert mich und gibt mir Fantasie. Ich kann an fließenden Gewässern auch sehr gut meine Texte lernen.

Sie haben schon viel erlebt und gesehen in Ihrem Leben. Gibt es irgendetwas, das Sie noch gerne machen oder einen Ort, den Sie gerne bereisen würden? Gibt es noch einen unerfüllten Traum?

Michaela May: Ich war eigentlich in der ganzen Welt unterwegs. Aber am liebsten bin ich im Mittelmeerraum. Mein Traum wäre vielleicht noch ein Häuschen am Meer in Italien oder in Griechenland. Das Haus muss mir aber nicht unbedingt gehören. Alleine, dass ich es mir leisten und ermöglichen kann, dorthin zu reisen, ist eigentlich schon mein erfüllter Traum. Früher dachte ich immer, ich müsse in die Südsee, da war ich bis heute noch nicht. Aber wenn ich es mir wirklich aussuchen dürfte, dann fiele meine Wahl auf den europäischen Mittelmeerraum. Wir haben zum Beispiel Freunde in Süditalien. Und wenn ich dort bin, geht mein Herz auf. Es muss nicht immer so weit weg sein. Ich war zum Beispiel dieses Jahr für die Welthunger Hilfe in Madagaskar und in Indien, ich war in Boston und New England – ich reise ständig um den Globus herum. Und je mehr ich um die Welt riese und das seit meinen frühen Kinderjahren, umso mehr bin ich lieber wieder im europäischen Mittelmeerraum. Eigentlich wäre ich gerne Italienerin (lacht). Gerade Amerikaner glauben oft, ich käme aus Italien.

Haben Sie mal gefragt, warum?

Michaela May: Ja, weil sie ein ganz bestimmtes Bild von den Deutschen haben: die Deutschen seien geradlinig, korrekt, fast schon etwas militärisch. Ich hingegen sei genau das Gegenteil von ihrem Bild des typisch Deutschen. Ich sei so locker und Laissez-faire. Ich glaube sogar wirklich, dass Menschen, je südlicher sie leben, ihr Leben gelassener leben. Vielleicht ist es meine ausstrahlende Gelassenheit, weswegen Amerikaner glaubten, ich sei Italienerin. Manchmal würde ich wirklich gerne sagen: Ja, ich bin Italienerin, wenn ich gefragt werde, woher ich komme. Wenn ich wiedergeboren werden sollte, werde ich Italienerin (lacht).

Ich möchte Ihnen noch ein Abschlussfrage stellen: Gibt es eine Frage, die Ihnen in einem Interview noch nie gestellt wurde, die Sie aber gerne mal beantworten würden?

Michaela May: Millionen Fragen geistern gerade durch meinen Kopf, die mir schon gestellt worden sind – bis zu der Frage, was auf meinem Grabstein stehen soll. Es gibt einfach schon so viel, was ich gefragt worden bin. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich schon alles gesagt habe, was zu meinem Leben zu sagen ist. Ich bin fraglos glücklich!

Ist es zu fassen! Kann Bärbel (Jennifer Ulrich) nach all dem Training tatsächlich ein wenig ihre Zehen bewegen? Simon (Michael Kranz), Mutter Irene (Michaela May) und Moni (Teresa Rizos) sind gespannt. (Szene aus dem Film
„Sommer im Allgäu“) (Foto: ZDF/Hans-Joachim Pfeiffer)